Von der Spur und dem Spüren

Carin Grudda

 

Von wegen Kaltnadel! Heiß wird es mir jedes Mal – ob es eine kleine Platte ist oder ein Zweimeterblech aus Zink. Mit dem Fuß schleife ich sie über den Ort des Geschehens und nehme Abdrücke. Das feine Liniengewirr, das entsteht, ergibt das Netz, in dem ich zapple.

Jetzt fängt die Arbeit an: den Schrunden nachzugraben mit dem Griffel, Linien auszudeuten, sich reinzufräsen in das Blech mit dem ganzen Leib, mit aller Kraft. Die Finger mit Pflaster verklebt, drüber der Handschuh, kündigt am nächsten Tag der Muskelkater – zunächst nur in einem Arm, dann sich langsam den Körper erobernd – die Blasen an, die Schwielen, die nach einer Woche Fronarbeit noch lange die Hände zieren werden.

Körpereinsatz total: der entschlossene Strich. Der hineingehauene Graben. Zitternd läuft er in einer Spitze aus, manches Mal, wenn die Kraft sich ausgeatmet hat. Je tiefer, desto schwärzer die Linie. Je versehrter die Platte, desto aufregender das Ergebnis. Wie ein zerfurchtes Gesicht vom Leben erzählt. Eine verkratzte Seele von Abgründen und dem Trotzdem. Es ist ein Fließgleichgewicht von einem zum anderen.

Die Kaltnadel gleicht einer Körper-Geist-Auseinandersetzung mit widerständigem Material auf nahezu unsichtbarem Boden: Die Platte bleibt blank – auch so zerkratzt, wie sie ist – und offenbart sich erst am Ende. Die beim Druck ausblutende Farbe nämlich erzählt nun von der Schlacht auf dem Metall. Von der Zerstörung, die in Poesie mündet. Von der Zerbrechlichkeit zarter Liniengewebe. Von der Mühe, die sich in Leichtigkeit hüllt. Von der Spur und dem Spüren, dem Protokoll einer Situation, einer Arbeitswoche, in die alles fließt.

Jedesmal wieder ein Abenteuer.