Pfahlkreis Teil 2

2000–2003
Bronze
Höhe je 330 cm
Durchmesser 8–14 cm

Auf Anfrage

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Beschreibung

Carin Grudda über ihre Pfähle

Der Pfahlkreis, eine Installation von 12 Bronzepfählen entstand zwischen 2000 und 2003.

Pfahl 1 + 2  
Königin und König gegossen am 31. Dezember 1999 Punkt Mitternacht zu Jahrtausendwende als erste Bronzen des neuen Jahrtausends.
Die zwei Holzpilaster stammen aus der abgebrannten Gießerei in Rom. Patina schwarz

Pfahl 3
Cocodrillo – der in Arma di Taggia am Meer gefunden Stamm, mit Algen bedeckt, musste sehr zügig gegossen werden, denn Algen trocknen relativ schnell.  Der Kopf, der eigentlich die Wurzel ist, sieht als ganzer einem Krokodil ähnlich, der oberste Teil einem Adler. Die in Bronze gebannte Struktur erzählt die Geschichte seiner Herkunft, seiner Reise.
Mit seiner schlammbraunen mit türkisgrün überzogenen Patina steht er für das Element Wasser.

Pfahl 4
Ein abgestorberner Nussbaum mit Luftballon aus Bronze wurde im Frühjahr 2000 gegossen. Es sind in den Stamm geritz: Sternenkonstellationen, Sätze aus dem Würfelwurfgedicht Mallamés, die mit Luft und ihrer Berührung zu tun haben »… außer am Himmel vielleicht, so fern wie ein Ort, wo Diesseits und Jenseits sich berühren …«.
Patina silber, Handverzinnung. Er steht für das Element Luft.

Pfahl 5
Die schöne Gärtnerin – eine abgestorbene, von Efeu berankte bzw. bedrängte Kirsche aus einem Ingelheimer Landschaftspark des 18. Jahrhunderts. Zwei Hände aus Bronze – meine – halten den Pfahl in der Mitte und alles Gartenwerkzeug erzählt von der mühsamen Arbeit mit der Erdscholle (zwei Schnecken tummeln sich am Stamm).
Patina erdbraun-grün, steht für das Element Erde.

Pfahl 6
Ein Agavenstengel mit den typischen Ananas-Zipfeln aus dem Garten eines Freundes und Nachbarn in Italien; Symbol der ewigen Wiederkehr – denn, wann immer die prächtige Agave ihren Zenit überschritten hat und wieder erdwärts wächst, sprießt aus ihr ein enormer phallischer Pfahl in die Höhe und behauptet neues Leben.
Die Patina golden, pure Bronze.

Pfahl 7
Neptun, gestrandet (nach einem Sturm gefunden am Meer von San Lorenzo), mit seiner Fracht aus Muscheln, Seepferdchen, Fischen … im Netz und davor; sein Dreizack als Krone.
Die Patina grün-schwarz.

Pfahl 8 
Ein in Sand gewickelter Kastanienholzstamm in Bronze gegossen, als wüchse der Strand in die Höhe. Darauf Spuren, die auch sonst zu finden sind: angespülte Sohlen, Schuhreste, Sandförmchen, eine Hacke, ein kleiner ertappter Frosch, der wegspringt.
Die Patina lichtes braun-gold, wie ein niederländisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert.

Pfahl 9 
Das Segeln/Gleiten in die Ferne, die Sehnsucht; die Patina blau wie das Meer und der Himmel: der Segelpfahl. Kleine Segelboote aus Papier gefaltet, (wie das auch noch heute Kinder können), fahren bronzen senkrecht hinauf. Oben weht ein Wimpel mit Stern: dass es sich gut segeln lässt darunter.

Pfahl 10 
Mit der Eisenbahn fing alles an: Transportwege, Reisen, die Mobilität schlechthin, die der Welt ein neues Gesicht verlieh . Als ich zur Schule kam, wollte jeder zweite Junge Lokomotivführer werden. Sie phantasierten den wilden Westen, die Mädchen den Orientexpress. Die vielen Kilometer an italienischen Küsten entlang mit immer gleichen Pfählen und Hütchen drauf und kleinen Krönchen nach unten gerichtet (zum Schutz der Hochspannungsleitungen), gaben die Idee: ein Eisenbahnkönigspfahl, schwarz natürlich, die Patina.

Pfahl 11 
Eine Zypresse. Schließlich lebe ich in Cipressa. Und der Kunstpreis vor 5 Jahren brachte mich zur Bronze. Es ging damals um Metamorphose, und ich las den lateinischen Urtext von Ovid über Ciparissus bei einer genial verrückten Pasquetta, die die Galerie Bajazzo zusammen mit einer handvoll inspirierter Künstlerfreunde inszenierte. Von absurden Schauspieleinlagen (Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti) bis zur Ursonate von Schwitters bedienten wir uns der Klaviatur des künstlerischen Übermuts. Ciparissus war dabei die eher traurige Gestalt. Er, der aus großem Versehen seine Lieblingshirschkuh erlegte, trauerte und weinte so lange, dass er Moos ansetzte und grün wurde, seine Haare zu hängen begannen und er sich langsam zur Zypresse wandelte. Ich goss eine Zypresse aus der Toskana. Den einzig wirklich lebenden Baum, denn bis dahin recycelte ich alle (keiner sollte sein Leben lassen für die Kunst). Ich wollte ihren Zustand des Verfalls behutsam aufbewahren und ihre Würde. Er hat es Gott sei Dank überstanden, das Procedere mit dem Kunstharzsand und kriegt einen Ehrenplatz in meinem Garten.

Pfahl 12 
Der Gudensberger Baum – die Birke meiner Kindheit. Mein Großvater aus Ostpreußen geflüchtet, pflanzte sie, als er das Haus baute und sich niederließ. Sie existiert nicht mehr, aber ein großer Ast von ihr lebt als Bronze weiter. Ein Teddybär – er leistete mir schon damals ständige Gesellschaft wie jedem Kind – war Symbol meines in die Welt gesetzten Vertrauens; Legohäuschen, ein zerrupftes Vöglein, ein Plastiklöwe, ein alter Schlüssel, ein Schuh. Ein zerliebter Bär, ein Kuschelhase und die erste Haarbürste. Natürlich eine Mickey Mouse. Und schließlich das alte Siegel, das kleine Schmuckstück aus noch älteren Tagen: wieder mal ein Fundstück, diesmal nicht von mir, aber aus meiner kleinen Heimatstadt – es stammt aus dem 11 . Jahrhundert. Die Patina silbern und leicht wie die natürliche Haut dieses Baumes … . Die kleine Plüscheule (der Minerva) mit der ich einst spielte, sitzt wachsam drüber, bereit zum Fluge. Sang nicht die Knef in den 60ern in einem ihrer Lieder: Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke, und macht sich in der Dämmerung auf den Weg … .

Damit sind es zwölf Bronzestelen. So wie vor fünf Jahren der magische Kreis aus Holzpfählen begann, am Strand von Imperia. 12 Tore auch, alle verschieden, um von einem Außen in ein Innen zu gelangen, von einem Naturraum in einen Kunstraum. 12 war die Zahl, nach der Karl der Große seine Kirche baute und die Kaiserpfalzen, die heilige Zahl. Denn sie grüßte die 12 Apostel. Die zwölf Monate des Jahres. Die zwölf Tierkreiszeichen. Die zwölf Stunden. Endlich schließt sich dieses Vorhaben, dieser Kreis.

Carin Grudda

 

Auszug aus dem Essay von Luciano Caprile

… das ist Carin Grudda: sie ist in der Lage, den Kern der Erfindung in das Arrangement unterschiedlichster wiederverwerteter Elemente hineinzulegen, um daraus spartanisch anmutende, an die Arte povera erinnernde Werke entstehen zu lassen (wie zum Beispiel die aus Holz gefertigten zwölf Stelen mit den daran angebrachten Objekten und die elementaren Hommagen an Beuys). Es ist, als tue sie sich mit der Einfalt des Staunens an, um dann unter den Händen die Ausflüsse eines kombinatorischen Spiels wachsen zu sehen, das sich aus ungestümer Kreativität speist, sich mit immer wieder aufflammender Phantasie beflügelt und mit großer Kunstfertigkeit so angeordnet wird, dass das so Erfahrene sich zusammenfügt und -hält. …

Essay von Luciano Caprile
»EIN PHANTASTISCHER SPAZIERGANG ZWISCHEN MALEREI UND SKULPTUR«